Der Schutz der Integrität der Verteidigung mit Hilfe der Durchsuchung?

Die Frage, ob die Durchsuchung der Verteidigung eine offene Diskriminierung derselben ist wurde aktuell in dem Verfahren vor dem OLG München aufgeworfen.
In der Verfügung des OLG München vom 04.03.2013 heißt es unter III. :

6. Die Verteidiger, Nebenklägervertreter, Nebenkläger, Dolmetscher, der Vertreter der Jugendgerichtshilfe und Sachverständigen werden, nachdem sie sich ausgewiesen haben, ebenfalls durchsucht.Sie sind durch Abtasten der Kleidung und Durchsicht der Behältnisse, auch unter Zuhilfenahme eines Metalldetektors oder eines Metalldetektorrahmens, auf Waffen und Gegenstände zu durchsuchen, die zur Störung der Hauptverhandlung geeignet sind. Darüber hinausgehende Durchsuchungsmaßnahmen sind nur durchzuführen, wenn das Suchgerät anspricht. 
Die mitgeführten Behältnisse sind ebenfalls durchzusehen und mittels eines Durchleuchtungsgerätes zu überprüfen. Hierbei ist die Kenntnisnahme vom Inhalt vorgefundener Schriften und Aktenteile untersagt.

—–

8. Die Mitglieder des Gerichts, die Vertreter der Bundesanwaltschaft, die Protokollführer und die dem Senat und der Bundesanwaltschaft zugeordneten Justizbediensteten, sowie die Amtshilfe leistenden Polizeibeamten und die zum Schutze gefährdeter Personen eingesetzten Polizeibeamten werden nicht durchsucht. Das gilt auch für die von diesen Personen etwa mitgeführten Taschen und Behältnisse.

Dies führte nunmehr zu den Befangenheitsanträgen der Verteidigung. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dem Thema der Durchsuchung der Verteidigung bereits in den Entscheidungen 2 BvR 2/06 und  2 BvR 1676/97 Stellung bezogen. Folglich war die Ablehnung der Befangenheitsanträge nicht wirklich überraschend. Laut spiegel.de heißt es in der Begründung:

Die Leibesvisitation sei aus Sicherheitsgründen erforderlich und diene „dem Schutz der Verteidiger und ihrer Integrität sowie ihrer Stellung als unabhängige Organe der Rechtspflege“. Die Angeklagten kämen „als vorrangiges Angriffsziel“ für diejenigen in Betracht, „die die Übernahme der Verteidigung von Angeklagten, die sie der rechten Szene zurechneten, nicht billigten und diese Missbilligung durch die Begehung von Straftaten oder andersgearteten Attacken auf die Person oder die Integrität der Verteidiger zum Ausdruck bringen wollten“. Dies gelte besonders für die Verteidiger von Beate Zschäpe, gegen die bereits Drohungen eingegangen seien. Es liege „keine Diskriminierung der Verteidiger der Angeklagten Zschäpe gegenüber den Mitgliedern des Senats, den Vertretern des Generalbundesanwalts und den sonstigen Justizbediensteten“ vor, begründet das OLG seinen Beschluss. Die von der Durchsuchung ausgenommenen Personen befänden sich nicht wie die Verteidiger Zschäpes zu dieser in einem besonderen Näheverhältnis.

Dies entspricht der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.
Laut BVerfG 2 BvR 1676/97 heißt es:

Gesetzliche Grundlage der Anordnungen ist § 176 GVG. Danach obliegt dem Gerichtsvorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß auf diese Vorschrift grundsätzlich auch die Anordnung der Durchsuchung von Personen und der von ihnen mitgeführten Gegenstände auch in Gestalt von Einlaßkontrollen in den dem Sitzungssaal vorgelagerten Räumlichkeiten gestützt wird und daß sich die sitzungspolizeilichen Befugnisse auch auf die Verteidiger erstrecken (vgl. BVerfGE 48, 118 [123]). Der Schutz der Freiheit der Berufsausübung beschränkt sich auf die Abwehr übermäßiger und unzumutbarer Belastungen (vgl. BVerfGE 7, 377 [405]; 30, 1 [32 f.]).

—–

Die angegriffenen Anordnungen beruhen zum einen auf der Befürchtung, während der Hauptverhandlung könnten Gefahren für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Sitzungen auch von den Beschwerdeführern ausgehen, zum anderen auf der Erwägung, ein oder mehrere Beschwerdeführer könnten unter Zwang oder ohne ihr Wissen zum Werkzeug von Befreiungsaktionen oder Mordanschlägen auf die Angeklagten eingesetzt werden. Schon deshalb sei es erforderlich, sie in den Kreis der Personen aufzunehmen, die zu durchsuchen seien. Nur so könne verhindert werden, daß sie in ihrer Integrität auf die Probe gestellt würden. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Annahmen als Auslegung und Anwendung des sogenannten einfachen Rechts (§ 176 GVG) im Verfassungsbeschwerde-Verfahren lediglich daraufhin überprüfen, ob sie von willkürlichen Erwägungen getragen sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 18, 315 [343]; 19, 290 [303]; stRspr). 
—–
Die Beschwerdeführer heben mit Recht hervor, daß es zweifelhaft sein könnte, ob eine sitzungspolizeiliche Anordnung, sie vor Betreten des Gerichtssaals zu durchsuchen, vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von Art. 12 Abs. 1 GG Bestand hätte, wäre eine solche Verfügung ausschließlich auf ein nicht durch konkrete Anhaltspunkte gegründetes Mißtrauen gegenüber den Verteidigern gestützt.
—–
Seinen Ausführungen in dieser und in der weiteren sitzungspolizeilichen Anordnung ist mit noch hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß die gegenüber den Verteidigern angeordneten Sicherungsmaßnahmen in erster Linie dem Schutz ihrer Integrität und ihrer Stellung als unabhängige Organe der Rechtspflege dienen und damit von vornherein jeder Anschein vermieden werden solle, die Verteidiger, die sich während der Hauptverhandlung in ständiger und unmittelbarer Nähe der Angeklagten befinden müssen, könnten als geeignete Helfer etwa für das Einschmuggeln gefährlicher Gegenstände in Betracht kommen. Die Annahme des Vorsitzenden, gerade diesen Zweck nur durch Anordnung der Durchsuchung auch der Verteidiger wirksam erreichen zu können, überschreitet von Verfassungs wegen nicht das ihm durch § 176 GVG eingeräumte pflichtgemäße Ermessen. Sind bei Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit eines Strafverteidigers auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten grundsätzlich Vorsicht und Zurückhaltung geboten, stellen die Erwägungen in den angegriffenen Anordnungen im vorliegenden Fall gerade keine pauschale Diskriminierung der Beschwerdeführer dar. Die Auffassung des Vorsitzenden, angesichts der Gefährdungslage bedürfe es der zusätzlichen Feststellung nicht, daß in jüngster Zeit in ähnlichen Verfahren ein konkreter Verdacht gegen Verteidiger entstanden sei, ist in diesem Zusammenhang nachvollziehbar, jedenfalls nicht willkürlich.
Laut BVerfG 2 bvR 2/06 heißt es weiter:
Der Strafverteidiger genießt kraft seiner Stellung als Organ der Rechtspflege bis zum Beweis des Gegenteils einen staatlichen Vertrauensvorschuss. Es bedarf daher grundsätzlich der Darlegung eines die Anordnung rechtfertigenden sachlichen Grundes. 
—–

Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat bereits nicht vorgetragen, dass der Staatsanwalt in dem von der Kammer benutzen Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts in gleichem Maße Zugang zu den Angeklagten hat wie der Beschwerdeführer.

Da sich das OLG München hier offensichtlich an den Vorgaben des BVerfG orientierte, konnte die Besorgnis der Befangenheit mit der erlassenen Verfügung nicht begründet werden. Es bleibt jedoch trotzdem ein fader Beigeschmack zurück.  Dies hat mit dem hiesigen Prozess jedoch nicht wirklich zu tun, denn die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts waren schon vorher da. Da eine Überprüfung lediglich auf Willkür möglich ist, kann eine sitzungspolizeiliche Verfügung nur dann gegen Grundrechte verstossen, insoweit sie keinen sachlichen Grund beinhaltet. Ein sachlicher Grund liegt jedoch hiernach immer dann vor, wenn aufgrund von Drohungen, Hinweisen auf Drohungen oder möglichen Repressalien die Verteidigung als Werkzeug missbraucht werden könnte. Problematisch ist hier jedoch, dass der Vorsitzende demnach berechtigt ist, erstens die schützenswerten Interessen des Verteidigers selbst zu definieren und sodann geeignete Maßnahmen zu ergreifen (so Köllner in Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 4. Auflage 2009). Der Vorsitzende fungiert sozusagen als „Anstandsdame“ der Verteidigung. Dies ist durchaus problematisch. Muss die Verteidigung tatsächlich vor sich selbst beschützt werden? Und ist es überhaupt zielführend? Kann die Integrität dadurch geschützt werden, dass man vorbeugend zu ihrem Schutz Durchsuchungen anstellt? Offenbar werden hier jedoch weder die Argumente der Verletzung der Berufsfreiheit noch die der Ungleichbehandlung weiterführen. Dennoch sollte man sich aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überlegen, ob ein generelles Misstrauen in die Verteidigung, unter dem Vorwand des Integritätsschutzes tatsächlich förderlich ist, oder eher das gesamte Rechtssystem schwächt. Denn wie Prof. Momsen in seinem Artikel richtigerweise feststellt, ist jeder erpressbar.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Strafrecht

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.