Zur Frage der Haftbedingungen im Ausstellungsstaat und deren Überpüfbarkeit durch die vollstreckende Behörde im Rahmen der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls

Am 30.04.2019 wurden die Schlussanträge des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache C‑128/18 des Dumitru-Tudor Dorobantu in dem Vorabentscheidungsersuchen des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg gehalten.

Bereits mit Urteil v. 05.04.2016, Az. C-404/15 u. C-659/15 hat der EuGH entschieden, dass die vollstreckenden Behörden zunächst Informationen über die zu erwartenden Haftbedingungen anfordern müssen

LTO berichtete hier: EuGH zu Haftbefehlen aus Ungarn und Rumänien Gericht muss Haft­be­din­gungen über­prüfen

Am 25.07.2018 hat der EuGH  mit Urteil in der Rechtssache C-220/18 im Hinblick auf die Haftbedingungen in Ungarn entschieden,

  1. dass, selbst wenn ein Ausstellungsmitgliedstaat – wie Ungarn seit Anfang 2017 – Rechtsschutzmöglichkeiten vorsieht, die es ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Haftbedingungen im Hinblick auf die Grundrechte zu überprüfen, die vollstreckenden Justizbehörden weiterhin verpflichtet sind, die Situation jeder betroffenen Person individuell zu prüfen, um sich zu vergewissern, dass ihre Entscheidung über die Übergabe dieser Person diese nicht aufgrund dieser Bedingungen einer echten Gefahr aussetzt, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden.
  2. dass die vollstreckenden Justizbehörden, die über die Übergabe einer Person zu entscheiden haben, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergangen ist, konkret und genau prüfen müssen, ob unter den konkreten Umständen eine echte Gefahr besteht, dass diese Person im Ausstellungsmitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.
  3. dass diese Behörden nur verpflichtet sind, die Haftbedingungen in den Haftanstalten zu prüfen, in denen die betroffene Person nach den dieser Behörde vorliegenden Informationen, sei es auch nur vorübergehend oder zu Übergangszwecken, konkret inhaftiert werden soll. Die Vereinbarkeit der Haftbedingungen in anderen Haftanstalten, in denen die Person gegebenenfalls später inhaftiert werden könnte, mit den Grundrechten fällt in die alleinige Zuständigkeit der Gerichte des Ausstellungsmitgliedstaats.
  4. dass die vollstreckende Justizbehörde nur die konkreten und genauen Haftbedingungen der betroffenen Person prüfen muss, die relevant sind, um zu bestimmen, ob diese einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sein wird. So sind die Religionsausübung, die Möglichkeit zu rauchen, die Modalitäten der Reinigung der Bekleidung sowie die Installation von Gittern oder eines Sichtschutzes vor den Fenstern der Zellen grundsätzlich Aspekte der Haft, denen keine offensichtliche Bedeutung zukommt.

Jedenfalls muss die vollstreckende Justizbehörde, wenn sie es für erforderlich erachtet, die ausstellende Justizbehörde um unverzügliche Übermittlung zusätzlicher Informationen zu den Haftbedingungen zu bitten, sicherstellen, dass ihre Fragen nicht nach Anzahl und Umfang dazu führen, dass die Funktionsfähigkeit des Europäischen Haftbefehls lahmgelegt wird, der gerade bezweckt, die Übergaben im gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu beschleunigen und zu erleichtern.

  1. weiter muss sich die vollstreckende Justizbehörde, wenn die ausstellende Justizbehörde zusichert, dass die betroffene Person unabhängig von der Haftanstalt, in der sie im Ausstellungsmitgliedstaat inhaftiert werden wird, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund ihrer konkreten und genauen Haftbedingungen erfahren werde, in Anbetracht des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, auf dem das System des Europäischen Haftbefehls beruht, auf diese Zusicherung zumindest dann verlassen, wenn keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßen.

Geht diese Zusicherung wie in der vorliegenden Rechtssache nicht von einer Justizbehörde aus, so ist die Garantie, die eine solche Zusicherung darstellt, durch eine Gesamtbeurteilung aller der vollstreckenden Justizbehörde zur Verfügung stehenden Informationen zu würdigen.  (siehe PRESSEMITTEILUNG Nr. 114/18 )

In einem weiteren Auslieferungsverfahren betreffend die rumänischen Haftbedingungen hat das OLG Hamburg im Vorabentscheidungsverfahren Rechtssache C‑128/18 weitere Fragen zur Klärung vorgelegt (LTO berichtete hier:EuGH verhandelt über Haftbedingungen in der EU Wann ist eine Zelle men­schen­würdig? .

Die aufgeworfenen Fragen wurden jetzt seitens des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen am 30.04.2019 wie folgt beantwortet:

Art. 1 Abs. 3, Art. 5 und Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 in Verbindung mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind wie folgt auszulegen:

–        Wenn die vollstreckende Justizbehörde über Angaben verfügt, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner Mängel der Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats belegen, ist sie verpflichtet, die echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, der der Betroffene aufgrund seiner Haftbedingungen in der Haftanstalt, in der er wahrscheinlich inhaftiert sein wird, ausgesetzt wäre, unter Gesamtwürdigung aller hierfür maßgeblichen materiellen Aspekte der Haft zu beurteilen.

–        Besonderes Augenmerk muss die vollstreckende Justizbehörde auf die Mindestfläche des persönlichen Raums legen, über den der Betroffene während seiner Haft verfügen wird. In Ermangelung unionsrechtlicher Vorgaben ist dieser Faktor nach Maßgabe der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgelegten Untergrenze zu bestimmen, die aber keine absolute Untergrenze darstellt.

–        Bei der Bestimmung der Mindestfläche des dem Betroffenen zur Verfügung stehenden persönlichen Raums muss die vollstreckende Justizbehörde berücksichtigen, ob es sich bei der Zelle, in der der Betroffene wahrscheinlich untergebracht wird, um eine Einzel- oder um eine Gemeinschaftszelle handelt. Die Behörde hat den Raum, den das am Boden befindliche Mobiliar einnimmt, einzuschließen, die durch die Sanitärvorrichtungen eingenommene Fläche hingegen auszuschließen.

–        Geht aus den vom Ausstellungsmitgliedstaat übermittelten Informationen hervor, dass die Mindestfläche des dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Raums 3 m² oder weniger beträgt, muss die vollstreckende Justizbehörde ermitteln, ob die übrigen materiellen Aspekte der Haft den Mangel an persönlichem Raum angemessen kompensieren und die Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 der Charta widerlegen können. Insbesondere hat die Behörde zu prüfen, wie die Zelle, in der der Betroffene untergebracht werden wird, eingerichtet ist, ob die wesentlichen Leistungen und baulichen Anlagen der Haftanstalt allgemein angemessen sind, wieviel Bewegungsfreiheit der Betroffene hat und welches Angebot an Aktivitäten außerhalb der Zelle er wahrnehmen kann.

–        Bei der Beurteilung dieser verschiedenen Aspekte sind auf jeden Fall Dauer und Umfang der Einschränkung, die Art der Haftanstalt, in der der Betroffene untergebracht werden wird, sowie das Strafvollzugsregime, dem er unterworfen sein wird, zu berücksichtigen.

–        Die vollstreckende Justizbehörde kann auch gesetzgeberische und strukturelle Maßnahmen zur Verbesserung des Strafvollzugs im Ausstellungsmitgliedstaat berücksichtigen. Angesichts ihrer allgemeinen Wirkung können diese Maßnahmen allerdings als solche nicht die echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung kompensieren, der der Betroffene aufgrund seiner Haftbedingungen in der betreffenden Haftanstalt ausgesetzt wäre.

–        Im Rahmen ihrer Beurteilung darf die vollstreckende Justizbehörde keine Abwägung zwischen einerseits dem Erfordernis, zu gewährleisten, dass der Betroffene keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta unterworfen wird, und andererseits den durch die Wahrung der Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung sowie die Wirksamkeit des dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Systems bedingten Erfordernissen vornehmen.“

Die Entscheidung des EuGH bleibt weiterhin abzuwarten.

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Anordnung der Sicherungsverwahrung neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe -sinnvoll?

Kann neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe auch die Sicherungsverwahrung angeordnet werden? Diese Frage ist seitens der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt und wurde bejaht. Aber ist eine solche Anordnung auch sinnvoll, bzw. kann hierdurch die Strafvollstreckung gegen den Verurteilten verfestigt werden?

Das Gesetz unterscheidet zunächst zwischen der zeitigen und der lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 38 StGB). Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe beträgt einen Monat. Die Höchstgrenze der zeitigen Freiheitsstrafe ist nach § 38 Abs.2 StGB 15 Jahre. Diese Höchstgrenze gilt auch für den Fall der Verhängung einer Gesamtstrafe (§ 54 Abs.2 S.2 StGB). Die lebenslange Freiheitsstrafe ist im Strafgesetzbuch nur für den Mord (§ 211 StGB) und den besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) angedroht. Jedoch muss auch der zu einer lebenslangen Haft Verurteilte eine konkrete und grundsätlich realisierbare Chance haben, die Freiheit wiederzugewinnen (vgl. BVerfG, 03.06.1992 – 2 BvR 1041/88). Die lebenslange Freiheitsstrafe ist auch verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, 21.06.1977 – 1 bvL 14/76). Gem. § 57a StGB kann das Gericht die Vollstreckung des Rests der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn 15 Jahre verbüßt sind, die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt wurde, die eine weitere Vollstreckung gebietet und dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

Da diese Möglichkeit der Bewährungsaussetzung gesetzlich vorgesehen ist, wird argumentiert, dass dieser Möglichkeit mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung entgegengewirkt werden solle, um eine frühzeitige Entlassung zu verhindern.

Die Sicherungsverwahrung ist gem. § 66 Abs. 1 StGB neben der Freiheitsstrafe anzuordnen, wenn die dafür erforderlichen formellen Voraussetzungen vorliegen und die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters die Anordnung seiner Unterbringung im Zeitpunkt der Entscheidung nötig macht (Kumulationsprinzip, vgl. LK-StGB/Hanack, 11. Aufl., vor §§ 61 ff. Rn. 65). Auf die einzelnen Voraussetzungen soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden.

Grundsätzlich ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 66 Abs. 1 StGB rechtmäßig, kommt jedoch gem. § 66 Abs. 2 StGB nicht stets und ohne weiteres in Betracht (vgl. BGH, Urteil v. 25.07.2012 – Az.: 2 StR 111/12).

Zwar steht der Umstand, dass die Vollstreckung der vor der Unterbringung zu vollziehenden lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur zur Bewährung ausgesetzt werden darf, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und ein für die Allgemeinheit gefährlicher Täter deshalb im Vollzug zu verbleiben hat, der Maßregelanordnung  der Sicherungsverwahrung nicht entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2013, Az.: 4 StR 124/13). Jedoch wird es aufgrund der insoweit vergleichbaren Bewertungsmaßstäbe kaum je der Fall sein, dass nach § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine Aussetzung des Vollzugs der lebenslangen Freiheitsstrafe verantwortet werden kann, aber die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmende Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass der Zweck der Maßregel (Verhütung hangbedingter rechtswidriger Taten) eine Unterbringung weiterhin erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12, Rn. 6; Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12).

Dabei ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Verurteilte weiterhin lebenslange Freiheitsstrafe und nicht die Maßregel zu verbüßen hat, wenn er auch nach der Mindestverbüßungsdauer noch als gefährlich einzuschätzen ist. Insoweit handelt es sich materiell um einen vergleichbaren Maßstab wie bei der Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Daher kann deren Anordnung neben lebenslanger Freiheitsstrafe kaum praktische Bedeutung entfalten (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. März 2012 -5 StR 57/12).

Schließlich entsprechen auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen, die bei der Prüfung zu beachten sind, ob der Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StPO) denjenigen, die das Gesetz für die Prüfung der Frage vorsieht, ob gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB nach Ende der Strafverbüßung eine im Urteil angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach dem Zweck der Maßregel noch erforderlich ist (§ 463 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StPO, vgl. BGH, Urt. v. 25.07.2012, Az.: 2 StR 111/12). Zur Beantwortung dieser Frage holt das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen ein. Dieser soll sich zu der Frage äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Dieses Gutachten beinhaltet demnach eine Gefährlichkeitsprognose über den Verurteilten. Es ist daher schlichtweg ausgeschlossen, dass eine Prognose auf der einen Seite im Hinblick auf die lebenslange Freiheitsstrafe positiv ausfällt und auf der anderen Seite im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Maßregel hingegen hiervon abweicht. Denn die Prognosekriterien sind dieselben.

Hinzu kommt, dass auch die dem Schuldausgleich dienende Strafhaft und der schuldunabhängige präventive Freiheitsentzug der Sicherungsverwahrung unterschiedliche Zwecke verfolgen und sich grundlegend in ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation unterscheiden (vgl. BVerfGE 130, 372, 389, BVerfG 27.03.2012 – 2 BvR 2258/09). Daher kann zwar ihre Anordnung wegen der Zweckverschiedenheit auch nebeneinander erfolgen, hierbei gelten jedoch kategorial verschiedene Voraussetzungen, die getrennt voneinander zu beurteilen sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365; Urteil vom 27. Oktober 1970 – 1 StR 423/70, BGHSt 24, 132, 133 f.).

Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe zwar rechtlich möglich, jedoch im Rahmen der Vollstreckung nicht sinnvoll ist. Die dem Schuldausgleich dienendet Strafhaft bleibt solange eine lebenslang zu vollstreckende Freiheitsstrafe, bis dem Verurteilte im Rahmen der Begutachtung eine positive Prognose bescheinigt wird, was wiederum das Gericht dazu bewegen kann, eine Strafaussetzung zur Bewährung zu beschließen. Hingegen wird eine schuldunabhängige präventive Freiheitsentziehung dann nicht für erforderlich seitens des Gerichts angesehen werden, wenn das hierzu erforderliche Prognosegutachten eine Gefährlichkeit des Verurteilten nicht mehr feststellt.

Nebenbei bemerkt, kann ich aus meiner bisherigen Erfahrung in Strafvollstreckungsverfahren bestätigen, dass eine Bewährungsaussetzung bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe selbst bei nicht festgestellter Schwere der Schuld nicht ohne Weiteres nach 15 Jahren möglich ist. Vielmehr ist dies ein langer Weg für die Verurteilten, um insbesondere dem Schuldausgleich gerecht zu werden. Im Gegensatz hierzu ist jedoch die Sicherungsverwahrung keineswegs so ausgerichtet, dass sie eine lebenslange präventive Verwahrung ermöglichen soll, sondern vielmehr gilt hier das Ultima Ratio Prinzip und die durch die Neuregelung der Vorschriften erfolgte Neuausrichtung des Zweckes der präventiven Sicherungsverwahrung. Die Erforderlichkeit des Antritts ist vielmehr zu vermeiden, was dazu führt, dass bereits der Strafvollzug hierauf ausgerichtet sein muss, um mit dem Verurteilten therapeutisch zu arbeiten, damit dieses Ziel erreicht werden kann. Für den Fall des Antritts der Sicherungsverwahrung soll jede Möglichkeit genutzt werden, um diese Maßregel so schnell es geht wieder zu beenden. Schon aus diesem Gesichtspunkt ist eine Anordnung der Sicherungsverwahrung neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht zweckmäßig.

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Der Schutz der Integrität der Verteidigung mit Hilfe der Durchsuchung?

Die Frage, ob die Durchsuchung der Verteidigung eine offene Diskriminierung derselben ist wurde aktuell in dem Verfahren vor dem OLG München aufgeworfen.
In der Verfügung des OLG München vom 04.03.2013 heißt es unter III. :

6. Die Verteidiger, Nebenklägervertreter, Nebenkläger, Dolmetscher, der Vertreter der Jugendgerichtshilfe und Sachverständigen werden, nachdem sie sich ausgewiesen haben, ebenfalls durchsucht.Sie sind durch Abtasten der Kleidung und Durchsicht der Behältnisse, auch unter Zuhilfenahme eines Metalldetektors oder eines Metalldetektorrahmens, auf Waffen und Gegenstände zu durchsuchen, die zur Störung der Hauptverhandlung geeignet sind. Darüber hinausgehende Durchsuchungsmaßnahmen sind nur durchzuführen, wenn das Suchgerät anspricht. 
Die mitgeführten Behältnisse sind ebenfalls durchzusehen und mittels eines Durchleuchtungsgerätes zu überprüfen. Hierbei ist die Kenntnisnahme vom Inhalt vorgefundener Schriften und Aktenteile untersagt.

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8. Die Mitglieder des Gerichts, die Vertreter der Bundesanwaltschaft, die Protokollführer und die dem Senat und der Bundesanwaltschaft zugeordneten Justizbediensteten, sowie die Amtshilfe leistenden Polizeibeamten und die zum Schutze gefährdeter Personen eingesetzten Polizeibeamten werden nicht durchsucht. Das gilt auch für die von diesen Personen etwa mitgeführten Taschen und Behältnisse.

Dies führte nunmehr zu den Befangenheitsanträgen der Verteidigung. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dem Thema der Durchsuchung der Verteidigung bereits in den Entscheidungen 2 BvR 2/06 und  2 BvR 1676/97 Stellung bezogen. Folglich war die Ablehnung der Befangenheitsanträge nicht wirklich überraschend. Laut spiegel.de heißt es in der Begründung:

Die Leibesvisitation sei aus Sicherheitsgründen erforderlich und diene „dem Schutz der Verteidiger und ihrer Integrität sowie ihrer Stellung als unabhängige Organe der Rechtspflege“. Die Angeklagten kämen „als vorrangiges Angriffsziel“ für diejenigen in Betracht, „die die Übernahme der Verteidigung von Angeklagten, die sie der rechten Szene zurechneten, nicht billigten und diese Missbilligung durch die Begehung von Straftaten oder andersgearteten Attacken auf die Person oder die Integrität der Verteidiger zum Ausdruck bringen wollten“. Dies gelte besonders für die Verteidiger von Beate Zschäpe, gegen die bereits Drohungen eingegangen seien. Es liege „keine Diskriminierung der Verteidiger der Angeklagten Zschäpe gegenüber den Mitgliedern des Senats, den Vertretern des Generalbundesanwalts und den sonstigen Justizbediensteten“ vor, begründet das OLG seinen Beschluss. Die von der Durchsuchung ausgenommenen Personen befänden sich nicht wie die Verteidiger Zschäpes zu dieser in einem besonderen Näheverhältnis.

Dies entspricht der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.
Laut BVerfG 2 BvR 1676/97 heißt es:

Gesetzliche Grundlage der Anordnungen ist § 176 GVG. Danach obliegt dem Gerichtsvorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß auf diese Vorschrift grundsätzlich auch die Anordnung der Durchsuchung von Personen und der von ihnen mitgeführten Gegenstände auch in Gestalt von Einlaßkontrollen in den dem Sitzungssaal vorgelagerten Räumlichkeiten gestützt wird und daß sich die sitzungspolizeilichen Befugnisse auch auf die Verteidiger erstrecken (vgl. BVerfGE 48, 118 [123]). Der Schutz der Freiheit der Berufsausübung beschränkt sich auf die Abwehr übermäßiger und unzumutbarer Belastungen (vgl. BVerfGE 7, 377 [405]; 30, 1 [32 f.]).

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Die angegriffenen Anordnungen beruhen zum einen auf der Befürchtung, während der Hauptverhandlung könnten Gefahren für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Sitzungen auch von den Beschwerdeführern ausgehen, zum anderen auf der Erwägung, ein oder mehrere Beschwerdeführer könnten unter Zwang oder ohne ihr Wissen zum Werkzeug von Befreiungsaktionen oder Mordanschlägen auf die Angeklagten eingesetzt werden. Schon deshalb sei es erforderlich, sie in den Kreis der Personen aufzunehmen, die zu durchsuchen seien. Nur so könne verhindert werden, daß sie in ihrer Integrität auf die Probe gestellt würden. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Annahmen als Auslegung und Anwendung des sogenannten einfachen Rechts (§ 176 GVG) im Verfassungsbeschwerde-Verfahren lediglich daraufhin überprüfen, ob sie von willkürlichen Erwägungen getragen sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 18, 315 [343]; 19, 290 [303]; stRspr). 
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Die Beschwerdeführer heben mit Recht hervor, daß es zweifelhaft sein könnte, ob eine sitzungspolizeiliche Anordnung, sie vor Betreten des Gerichtssaals zu durchsuchen, vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von Art. 12 Abs. 1 GG Bestand hätte, wäre eine solche Verfügung ausschließlich auf ein nicht durch konkrete Anhaltspunkte gegründetes Mißtrauen gegenüber den Verteidigern gestützt.
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Seinen Ausführungen in dieser und in der weiteren sitzungspolizeilichen Anordnung ist mit noch hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß die gegenüber den Verteidigern angeordneten Sicherungsmaßnahmen in erster Linie dem Schutz ihrer Integrität und ihrer Stellung als unabhängige Organe der Rechtspflege dienen und damit von vornherein jeder Anschein vermieden werden solle, die Verteidiger, die sich während der Hauptverhandlung in ständiger und unmittelbarer Nähe der Angeklagten befinden müssen, könnten als geeignete Helfer etwa für das Einschmuggeln gefährlicher Gegenstände in Betracht kommen. Die Annahme des Vorsitzenden, gerade diesen Zweck nur durch Anordnung der Durchsuchung auch der Verteidiger wirksam erreichen zu können, überschreitet von Verfassungs wegen nicht das ihm durch § 176 GVG eingeräumte pflichtgemäße Ermessen. Sind bei Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit eines Strafverteidigers auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten grundsätzlich Vorsicht und Zurückhaltung geboten, stellen die Erwägungen in den angegriffenen Anordnungen im vorliegenden Fall gerade keine pauschale Diskriminierung der Beschwerdeführer dar. Die Auffassung des Vorsitzenden, angesichts der Gefährdungslage bedürfe es der zusätzlichen Feststellung nicht, daß in jüngster Zeit in ähnlichen Verfahren ein konkreter Verdacht gegen Verteidiger entstanden sei, ist in diesem Zusammenhang nachvollziehbar, jedenfalls nicht willkürlich.
Laut BVerfG 2 bvR 2/06 heißt es weiter:
Der Strafverteidiger genießt kraft seiner Stellung als Organ der Rechtspflege bis zum Beweis des Gegenteils einen staatlichen Vertrauensvorschuss. Es bedarf daher grundsätzlich der Darlegung eines die Anordnung rechtfertigenden sachlichen Grundes. 
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Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat bereits nicht vorgetragen, dass der Staatsanwalt in dem von der Kammer benutzen Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts in gleichem Maße Zugang zu den Angeklagten hat wie der Beschwerdeführer.

Da sich das OLG München hier offensichtlich an den Vorgaben des BVerfG orientierte, konnte die Besorgnis der Befangenheit mit der erlassenen Verfügung nicht begründet werden. Es bleibt jedoch trotzdem ein fader Beigeschmack zurück.  Dies hat mit dem hiesigen Prozess jedoch nicht wirklich zu tun, denn die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts waren schon vorher da. Da eine Überprüfung lediglich auf Willkür möglich ist, kann eine sitzungspolizeiliche Verfügung nur dann gegen Grundrechte verstossen, insoweit sie keinen sachlichen Grund beinhaltet. Ein sachlicher Grund liegt jedoch hiernach immer dann vor, wenn aufgrund von Drohungen, Hinweisen auf Drohungen oder möglichen Repressalien die Verteidigung als Werkzeug missbraucht werden könnte. Problematisch ist hier jedoch, dass der Vorsitzende demnach berechtigt ist, erstens die schützenswerten Interessen des Verteidigers selbst zu definieren und sodann geeignete Maßnahmen zu ergreifen (so Köllner in Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 4. Auflage 2009). Der Vorsitzende fungiert sozusagen als „Anstandsdame“ der Verteidigung. Dies ist durchaus problematisch. Muss die Verteidigung tatsächlich vor sich selbst beschützt werden? Und ist es überhaupt zielführend? Kann die Integrität dadurch geschützt werden, dass man vorbeugend zu ihrem Schutz Durchsuchungen anstellt? Offenbar werden hier jedoch weder die Argumente der Verletzung der Berufsfreiheit noch die der Ungleichbehandlung weiterführen. Dennoch sollte man sich aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überlegen, ob ein generelles Misstrauen in die Verteidigung, unter dem Vorwand des Integritätsschutzes tatsächlich förderlich ist, oder eher das gesamte Rechtssystem schwächt. Denn wie Prof. Momsen in seinem Artikel richtigerweise feststellt, ist jeder erpressbar.

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Opferschutz: Neue EU-Rechtsvorschriften stärken Rechte von Verbrechensopfern

Europäische Kommission
Pressemitteilung
Luxemburg, 4. Oktober 2012

Opferschutz: Neue EU-Rechtsvorschriften stärken Rechte von Verbrechensopfern

Kommissionsvizepräsidentin und EU-Justizkommissarin Viviane Reding begrüßte heute die endgültige Verabschiedung neuer EU-Rechtsvorschriften, die den Rechtsschutz der geschätzten 75 Millionen Verbrechensopfer pro Jahr in der EU verbessern. Die EU-Richtlinie über den Opferschutz wurde heute vom Ministerrat verabschiedet, nachdem zuvor das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit (611 Ja-Stimmen bei 9 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen) das neue Regelwerk gebilligt hatte (MEMO/12/659). In der neuen EU-Richtlinie werden Mindeststandards für den EU-weiten Opferschutz festgelegt (siehe IP/11/585).
„Die Strafjustizsysteme der Mitgliedstaaten konzentrieren sich bisweilen zu sehr auf die Verfolgung Krimineller und vergessen dabei die Opfer. Mit den neuen EU-Rechtsvorschriften werden die Rechte von Opfern gestärkt. Niemand möchte einem Verbrechen zum Opfer fallen. Wenn dies jedoch geschieht, sollten die Betroffenen zumindest in der Gewissheit leben, dass sie EU-weit die gleichen grundlegenden Rechte genießen,“ erklärte Vizepräsidentin Viviane Reding. „Jährlich werden schätzungsweise 15 % der Europäer, d.h. 75 Millionen Menschen in der Europäischen Union Opfer eines Verbrechens. Bedenkt man weiter, dass 12 Millionen Europäer in einem anderen EU-Land wohnen und jährlich eine Milliarde Reisen in der EU zu verzeichnen sind, werden die neuen EU-Vorschriften in erheblichem Maße dazu beitragen, das Leid der Betroffenen zu lindern. Diese historische Leistung verdeutlicht eindrucksvoll, dass Europa sich tatsächlich für die Rechte der Bürger einsetzt.“
Hintergrund Die EU-Richtlinie über Mindeststandards für den Opferschutz war im Mai 2011 von der Kommission vorgelegt worden (IP/11/585 und MEMO/11/310). Ihre heutige Verabschiedung durch den Rat der EU folgte auf eine Abstimmung im Europäischen Parlament (MEMO/12/659). Zuvor war nach intensiven Verhandlungen unter Vermittlung der Europäische Kommission im Juni eine Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat erzielt worden. Die Mitgliedstaaten werden nach der Veröffentlichung der Richtlinie im Amtsblatt der EU drei Jahre Zeit haben, diese in nationales Recht umzusetzen.
Die neue EU-Richtlinie über Mindeststandards für den Opferschutz soll in den 27 EU-Staaten Folgendes gewährleisten:
  • Opfer werden respektvoll behandelt, Polizei, Staatsanwaltschaft und Richterschaft werden in einem angemessenen Umgang mit Opfern geschult.
  • Opfer werden in einer für sie verständlichen Form über ihre Rechte aufgeklärt und über ihren Fall informiert.
  • In allen Mitgliedstaaten ist für Opferhilfe gesorgt.
  • Opfer können sich auf Wunsch am Verfahren beteiligen und werden unterstützt, wenn sie dem Prozess beiwohnen wollen.
  • Besonders schutzbedürftige Opfer wie Kinder, Vergewaltigungsopfer oder Behinderte werden angemessen geschützt.
  • Opfer werden während der polizeilichen Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens geschützt.

 

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Bundesgerichtshof hebt Freispruch eines Proberichters vom Vorwurf der Rechtsbeugung auf

Ich bin wohl nicht die Erste, die diese Entscheidung heute bloggt, aber ich kann nicht anders. Insbesondere gefällt mir die Passage, wo der Proberichter mit dem Beschuldigten ein „Probesitzen“ in der Zelle geübt hat! Zur Abschreckung, versteht sich!
Pressestelle BGH: Nr. 79/2012 Bundesgerichtshof hebt Freispruch eines Proberichters vom Vorwurf der Rechtsbeugung auf
Das Landgericht Kassel hat den Angeklagten, einen am Amtsgericht Eschwege tätigen Richter auf Probe, vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Aussageerpressung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach den Feststellungen des Landgerichts leitete der Angeklagte als Strafrichter eine Hauptverhandlung wegen exhibitionistischer Handlungen, die sich an einen Einspruch des damaligen Beschuldigten anschloss. Schon vor der Hauptverhandlung war er entschlossen, als Rechtsfolge einen Schuldspruch mit Strafvorbehalt auszusprechen und eine Therapieauflage anzuordnen. In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte, der möglicherweise annahm, der Strafbefehl sei im Schuldspruch bereits rechtskräftig und der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt, wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens war ihm bekannt, dass der damals Beschuldigte wegen einer Persönlichkeitsstörung eine schwache und selbstunsichere Person war. Der Angeklagte forderte den Beschuldigten in zunehmend erregter Form auf, ein Geständnis abzulegen. Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“, und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden. Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen. Hiernach setzte der Angeklagte die Hauptverhandlung fort, in der der damalige Beschuldigte nunmehr vollumfänglich geständig war. Der Angeklagte verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, verbunden mit einer Therapieauflage; dies entsprach dem staatsanwaltschaftlichen Antrag. Der immer noch stark eingeschüchterte Beschuldigte und der Staatsanwalt erklärten sogleich Rechtsmittelverzicht. Das Landgericht hat es zwar als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte den damaligen Beschuldigten durch sein prozessordnungswidriges Verhalten zu einem Geständnis habe zwingen wollen. Es hat aber angenommen, dies sei nicht mit der für den Rechtsbeugungsvorsatz erforderlichen Zielrichtung geschehen, dem Zeugen einen unrechtmäßigen prozessualen Nachteil zuzufügen. Denn der Angeklagte sei unwiderlegt davon ausgegangen, nur noch über die Rechtsfolgen der Tat entscheiden zu müssen. Für die Verurteilung sei es daher aus der Sicht des Angeklagten auf das Geständnis nicht mehr angekommen. Wegen der Sperrwirkung des § 339 StGB sei auch eine mögliche Aussageerpressung straflos. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Der Senat hält die Beweiswürdigung des Landgerichts für nicht ausreichend. Das Landgericht hat sich insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte durch sein Verhalten auch die Einwilligung in eine Therapieauflage und den Rechtsmittelverzicht herbeiführen wollte. Auch hieraus konnten sich ebenfalls prozessuale Nachteile ergeben. Insoweit ist die Beweiswürdigung nicht erschöpfend und damit rechtsfehlerhaft. Beschluss vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 Landgericht Kassel – Urteil vom 1. September 2011 – 3600 Js 37702/09 5 Kls Karlsruhe, den 31. Mai 2012 Pressestelle des Bundesgerichtshofs 76125 Karlsruhe Telefon (0721) 159-5013 Telefax (0721) 159-5501

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Faire Strafverfahren: Belehrung wird EU-Gesetz

EU-Nachrichten:

27.04.2012

Jeder Europäer hat künftig das Recht auf Belehrung in Strafverfahren. Die Justizminister der EU-Mitgliedstaaten haben heute (Freitag) einem Vorschlag der Europäischen Kommission zu gestimmt. Sie stellt sicher, dass jede Person die in einem EU-Land festgenommen wird, oder gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergeht, eine Rechtsbelehrung erhält. In der so genannten Erklärung der Rechte, werden die grundlegenden Rechte in Strafverfahren aufgelistet. Bisher gab es dieses Recht nur in einem Drittel der Mitgliedstaaten. „Das Recht auf ein faires Verfahren ist einer der Eckpfeiler unserer Justizsysteme in Europa“, erklärte Viviane Reding, Vizepräsidentin und für Justiz zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission. „Die neue EU-Richtlinie soll dazu beitragen, dass dieses Recht gewahrt wird und dass alle Betroffenen unmissverständlich und unmittelbar über ihre Rechte aufgeklärt werden. Wir haben mit großem Einsatz dafür gearbeitet, dass alle Bürger Zugang zur Justiz haben, egal, wo sie sich in der EU befinden. Heute ist eine wichtige Etappe auf unserem gemeinsamen Weg erreicht.“

Quelle: http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10623_de.htm

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„Es ist nicht schlimm hier drin zu sein, schlimm ist, wenn man für etwas hier ist, was man nicht getan hat“ (Zitat Mandant)

Gedanken zum Strafvollzug
Was passiert eigentlich im Vollzug? Eins steht fest, wenn ein Mandant zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist sein Wunsch, den Strafvollzug erst gar nicht an zu treten, oder wenn, dann so schnell wie möglich wieder zu beenden. Hier gibt es verschiedene Modelle. Hat der Verurteilte ein Drogenproblem, ist das Mittel der Wahl die Zurückstellung der Strafe gem. § 35 BtMG. Dies ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, insbesondere jedoch, dass zum Tatzeitpunkt Drogenmissbrauch vorlag und nur noch 2 Jahre zu verbüßen sind. Es hilft also nicht, später sich den Drogen zuzuwenden in der Hoffnung auf einen Therapieplatz, denn das ist unbeachtlich. Bei starker Alkoholabhängigkeit kommt auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Betracht. Dies wird per Sachverständigengutachten festgestellt. Die Regeln in einer Entziehungsanstalt sind sehr streng und der Verurteilte muss sich gegenüber der Therapie öffnen können, damit ein Erfolg verzeichnet werden kann. Dies ist nicht jedem in gleicher Weise möglich, weshalb auch schon einmal die Unterbringung unterbrochen wird. Dabei sind die Freiheiten, die man in der Entziehung genießt dann doch größer und falls man ernsthaft eine Therapie anstrebt auch die Möglichkeiten wesentlich besser, als im Normalvollzug. Für Täter, die wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden steht zumeist die Sozialtherapie offen. Bedingung ist jedoch die Ernsthaftigkeit und der Therapiewillen. Auch dürfen keine psychiatrischen Krankheitsbilder vorliegen, weshalb es Verurteilte mit einer stark ausgeprägten Persönlichkeitsstörung oder gar psychopathischem Erkrankungsbild nicht schaffen an dieser Maßnahme teilzunehmen. Selbst jedoch dann, wenn man dann aufgenommen wird ist es nicht garantiert, dass man es schafft die Sozialtherapie zu durchlaufen. Der Verurteilte muss im Stande sein, mit den anderen Teilnehmern für einen längeren Zeitraum zusammen zu sein und während der Therapie sich über das innerste Erleben mitzuteilen. Keineswegs eine einfache Aufgabe. Was dann bleibt sind Angebote wegen Schuldenberatung, gesundes Essen oder das beliebte Antiaggressionstraining. Bei erfolgreicher Teilnahme kann hier der Gefangene selbst als AGT-Trainer agieren, was das Selbstvertrauen enorm stärkt. Die meisten Teilnehmer dieser Therapie sind nach erfolgreichem Abschluss stolz darauf, wenn sie es endlich geschafft haben einen Weg zu finden, mit dem Aggressionspotenzial umzugehen. Selbstverständlich gibt es auch psychologische Gespräche, jedoch ist die Auswahl der zur Verfügung stehenden Psychologen zumeist auf einen „Hauspsychologen“ begrenzt, weshalb das erforderliche Vertrauen für ein so intimes Gespräch kaum aufgebracht werden kann. Da ohne Vertrauen eine Öffnung kaum möglich ist, führen solche Gespräche bei vielen Teilnehmenden ins Leere. Viele vertrauen sich eher dem sog. „Vertauensbeamten“ an, gerade bei Verurteilten, die einen sehr langen Weg im Strafvollzug vor sich haben, kann sich eine starke Bindung entwickeln, da man über Jahre hinweg eine Beziehung aufbaut.
Was sind das für Menschen im Strafvollzug? Ganz Normale. Oder sie hätten vielleicht, wenn sich ihr Leben anders entwickelt hätte ein ganz normales Leben geführt. Und da ist man wieder bei der sog. „schwierigen Kindheit“. Ja, es gibt sie tatsächlich. Ein Phänomen, sozusagen. Oft muss ich darüber nachdenken, ob nicht der ein oder andere Mörder, Vergewaltiger oder ein wegen einer anderen schweren Tat Verurteilter vielleicht auch ein sog. Durchschnittsbürger hätte werden können. Ich bin mir sicher, dass dies bei Einigen zutrifft. Wenn ich mir die Biografien von einigen meiner Mandanten durchlese kann man es sich kaum vorstellen, dass in unserer doch zivilisierten Gesellschaft noch zu solchen Fehlentwicklungen kommen konnte. Es ist wirklich wichtig auf die Jüngsten in unserer Gesellschaft ein besonderes Augenmerk zu richten und Auffälligkeiten schnell zu erkennen und zu beheben. Das Leid, das viele der später Verurteilten selbst erlebt haben, geben sie dann unverarbeitet an ihre Opfer weiter. Ja, hierin ist der Sinn des Strafvollzuges. Ziel ist ja wohlbekannt die Resozialisierung der Täter. Leider wird hier eine Menge gespart. Es sollten mehrere Psychologen zur Verfügung stehen, damit dieses Ziel tatsächlich auch erreicht werden kann. Erst jetzt hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtswidrigkeit der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung erkannt. Positiv formuliert: besser jetzt als nie. Nunmehr wird in die Sicherungsverwahrung investiert, aber es gibt auch noch die normalen Strafgefangenen, die lebenslang „verwahrt“ werden, ohne zu den „SV“-lern zu gehören.
Wir als Gesellschaft haben meines Erachtens die Pflicht auch für deren Resozialisierung zu sorgen. Es ist ein schwieriger Weg und wird von den meisten Menschen sehr kritisch gesehen. Weshalb in jemanden investieren, der es nicht anders verdient, fragen sich viele. Weil wir eine zivilisierte Gesellschaft sind und Rechtsstaatlichkeit groß schreiben. Und weil wir als Gesellschaft davon profitieren, wenn jemand nach langjährigem Strafvollzug resozialisiert an unserem bürgerlichen Leben teilnimmt ohne eine Gefahr für uns darzustellen. Dies ist auch der Grund, weshalb es notwendig ist Lockerungen und ein Wiedereingewöhnen in das normale Leben zu gewährleisten. Wenn ein Mensch ohne jegliche Zurückgewöhnung entlassen wird, d.h. mit Endstrafe, hat er seine Strafe zwar verbüßt, eine alternative Lebensform ist ihm jedoch nicht aufgezeigt worden. Die Theorie ist wunderbar, aber wie schnell der Rückfall in die gewohnten Verhaltensmuster ist, zeigen die Auszüge aus dem Bundeszentralregister der immer wieder Verurteilten, wo die gesammelten Vorstrafen auftauchen. Die Angst vor einer weiteren Verurteilung hält nur die Wenigsten von einer weiteren Tatbegehung ab. Ein „SV“-ler formulierte es so:

um mich an die Geschehnisse in meinem Leben zu erinnern, orientiere ich mich an meinem Bundeszentralregisterauszug.

Die Idee des Strafvollzuges sollte der Neuanfang sein, nicht lediglich das Absitzen. Es gibt mit Sicherheit Straftaten die eine Freiheitsstrafe erfordern, dies ist gesetzlich ja auch so vorgesehen. Aber mit der Aburteilung ist das Problem nicht gelöst. Denn die Aufgabe beginnt erst jetzt. Hierin liegt die Rechtfertigung für den sinnvollen Strafvollzug, denn die Idee ist, dass jeder Straftäter einmal in die Freiheit entlassen wird, auch ein zu lebenslanger Haft verurteilter. Daher ist eine Investition in den Strafvollzug keineswegs eine Fehlinvestition sondern eine Notwendigkeit in einer zivilisierten Gesellschaft.

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nulla poena sine lege

Scheinbar ist vielen dieses Prinzip nicht bekannt. Dabei ist es eines der Säulen der Rechtsstaatlichkeit. Art. 7 EMRK garantiert dieses Prinzip: Keine Strafe ohne Gesetz. Es besagt, dass niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden darf, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Da es sich nach dem EGMR-Urteil vom 17.12.2009 auch bei der Sicherungsverwahrung um eine Strafe i.S. von Art. 7 I EMRK handelt, stellt eine Verlängerung der Sicherungsverwahrung eine zusätzliche Strafe dar, die nachträglich auferlegt worden war. In dem beschiedenen Fall wurde der Beschwerdeführer noch nach altem Recht verurteilt, wonach eine Höchstdauer von 10 Jahren bei einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung galt. Im Jahre 1998 wurde diese Höchstgrenze gestrichen und § 67 d III StGB war nunmehr auch für die vor der Neuregelung angeordneten Fälle anzuwenden. Nach dem Grundgesetz gilt das absolute Rückwirkungsverbot für Strafen gem. Art. 103 II GG, jedoch ist dies auf Maßregeln der Besserung und Sicherung, wie die Sicherungsverwahrung nicht anwendbar. Dies hatte zur Folge, dass selbst Straftäter, die bei ihrer Verurteilung mit einem sicheren Ende nach höchstens 10 Jahren rechnen konnten, nunmehr unter Beweis setzen mussten, dass von ihnen tatsächlich keine Gefahr mehr ausgeht. Da dies jedoch schwer zu erfüllen ist, handelt es sich um eine der härtesten Maßnahmen, die nach dem StGB angewendet werden können.
Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nunmehr richtig feststellte lag folglich ein Verstoß gegen Art. 7 EMRK vor.
Nunmehr geht ein Aufschrei durch die Medien „Es ist exakt der Fall, den alle gefürchtet haben: Weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die deutsche Praxis der nachträglichen Sicherungsverwahrung untersagt und den Einspruch dagegen am letzten Dienstag zurückgewiesen hat, dürfen zahlreiche Täter jetzt auf Freiheit hoffen. Als einer der ersten profitierte davon Walter H., der nach einem entsprechenden Beschluss des Bundesgerichtshofs am Mittwoch aus der JVA Saarbrücken entlassen wurde.“ Die Unrichtigkeit dieser Entscheidung wird gerügt und die Angst vor potentiellen Verbrechern geschürt. Die Freilassung eines Kindsmörders, dessen Sicherungsverwahrung aufgrund dieser Entscheidung nicht mehr weiter aufrechterhalten werden konnte, mag zwar beängstigend sein. Aber, die Menschen sollten bedenken, dass die betroffene Person ihre Strafe erhielt und diese auch absaß, von einem Profitieren kann daher eigentlich keine Rede sein. Insbesondere sollte bedacht werden, dass die Umgehung des Rückwirkungsverbotes wesentlich beängstigender ist, denn wo bleibt dann die Rechtssicherheit, wenn jemand, der einmal verurteilt wurde, auf absehbare Zeit, mit einer Gesetzesänderung vielleicht für immer weggesperrt werden kann. Für die Zukunft Europas ist es zu wünschen, dass es nicht mehr zu einem solchen Fall mit dem dunklen Beigeschmack diktatorischer Zeiten kommt

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Fluchtgefahr bei EU-Ausländern

Die Fluchtgefahr kann nicht allein damit begründet werden, dass der/die Beschuldigte nicht in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft ist, denn genau einer solchen Ungleichbehandlung soll mit

dem Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates vom 23.10.2009 über die Anwendung – zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union- des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft  entgegengetreten werden.

 

Insbesondere heißt es in dessen Begründung in Absatz 5, dass hinsichtlich der Inhaftierung von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, die Gefahr besteht, dass Personen mit Wohnsitz im Verhandlungsstaat anders behandelt werden als Personen mit Wohnsitz in einem anderen Staat; das heißt: Gebietsfremde laufen Gefahr, in Untersuchungshaft genommen zu werden, während Gebietsansässige unter gleichen Umständen auf freiem Fuß blieben. In einem gemeinsamen europäischen Rechtsraum ohne Binnengrenzen muss sichergestellt werden, dass eine Person, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist und die ihren Wohnsitz nicht im Verhandlungsstaat hat, nicht anders behandelt wird als eine Person, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist und die im Verhandlungsstaat wohnt. Weiter heißt es in Absatz 12: dieser Rahmenbeschluss sollte es ermöglichen, dass gegen die betroffene Person angeordnete Überwachungsmaßnahmen im Vollstreckungsstaat überwacht werden und zugleich ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet und insbesondere sichergestellt ist, dass die betroffene Person vor Gericht erscheint. Kehrt die betroffene Person nicht freiwillig in den Anordnungsstaat zurück, kann sie an diesen im Einklang mit dem Rahmenbeschluss 2002/5847JI des Rates vom 13.Juni 2002 über den europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten übergeben werden.
Bezüglich einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts wird auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache Strafverfahren gegen Maria Pupino (EuGH C-150/03, Slg. 2005, I-5285) hingewiesen, in welcher dieser erstmals eine unionsrechtlich begründete Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte feststellte, nationales Recht rahmenbeschlusskonform auszulegen. Daraus folgt für nationale Gerichte eine aus dem Unionsrecht fließende Verpflichtung, nationales Recht bei dessen Anwendung so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des jeweils einschlägigen Rahmenbeschlusses auszulegen.

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